Ursula Bangemann & Rudi Weiß:
Hochwasser-Erlebnisse im gemeinsamen Wohnhaus Stammestraße 44

Nach langen Regenfällen und einsetzender Schneeschmelze im Harz, dessen Bäume nach Kriegsende von der Besatzungsmacht großflächig abgeholzt worden waren, konnte das Wasser nicht mehr ausreichend gespeichert werden. Auch waren die Talsperren randvoll oder zerstört.

Die Leine führte Hochwasser. Auf dem Waterlooplatz gestapelte Benzinkanister der Engländer wurden vor das Leinewehr geschwemmt und stauten zusätzlich das Wasser. In kurzer Zeit war die Ricklinger Masch und damit auch unser Garten überschwemmt. Das Hochwasser stieg mit großer Geschwindigkeit an und drückte nun auch in die Abwasserkanäle von Ricklingen. Das Wasser sprudelte aus den Gullys der Straßen.

Im Wohnhaus wurde das Notwendigste wie Lebensmittel und Heizmaterial aus dem Keller geborgen und im Hausflur gestapelt. Ursulas Eltern räumten die Schränke ihrer Parterrewohnung leer und schafften den Hausrat und leichtere Möbelstücke in die oberen Etagen des Hauses. Unter großer Anstrengung wurden die größeren Möbelstücke auf Holzklötze aufgebockt. Doch das Hochwasser stieg weiter. Nur mit Turnhose und Unterhemd bekleidet, stellte sich der Vater von Ursula im eiskalten Wasser noch höher (siehe Bild). Als das Wasser den höchsten Pegelstand erreicht hatte (2,10 Meter über Hofniveau = Fensterbankhöhe Erdgeschoss) standen die Schränke doch noch 60 cm im Wasser.

In einem Stall im Garten wurden Hühner und ein junges Schwein gehalten. Diese in der Zeit so kostbaren Tiere mussten auf den Hausboden evakuiert werden. Große Aufregung gab es, als sich das Schwein nachts selbstständig machte und die Bodentreppe herunterpolterte.

Außer dem Hausrat und den Tieren mussten nun auch 14 damalige Hausbewohner in der ersten Etage und dem Dachgeschoss des Hauses Platz finden. Im Parterre schwammen alle möglichen leichteren Gegenstände im Wasser.

Backwaren, sofern vom Bäcker gegenüber in Sicherheit gebracht, und frische Milch wurden mit einem Schlauchboot der Feuerwehr oder dem selbst gebauten Floß der Nachbarn angeliefert. Aus einem Fenster der ersten Etage wurden die Esswaren in einem Korb hochgezogen. Für uns Kinder war das eine aufregende Zeit, zumal ja auch die Schule ausfiel.

Nach dem das Hochwasser zurückgegangen war, vergingen Wochen, bis die untere Wohnung entschlammt und einigermaßen trocken war. Am schlimmsten sah es im Keller aus. Schlamm, Koks, Kartoffeln, Kohlköpfe, Obst bildeten eine zähe Masse. Außerdem war es schwierig, auf die Schnelle eine Pumpe zum Leerpumpen des Kellers zu bekommen. Die Feuerwehren waren total überfordert.

Auch in der Schlossereihalle von Rudis Vater, die hinter dem Wohnhaus stand, sah es schlimm aus. Alle Maschinen und Werkzeuge mussten entschlammt, zerlegt und wieder zusammengesetzt werden. Lange Zeit konnte der Betrieb nicht arbeiten.

Der ab 1952 erfolgte Deichbau war für uns Kinder eine interessante Zeit, waren doch die riesigen, aufgeschütteten Sandberge ein idealer Spielplatz für uns. Unseren Eltern allerdings tat es Leid, dass für den Deichbau so viele Obstbäume und Beerensträucher im Garten ihr Leben lassen mussten. Unser traumhaftes Kinderparadies, der riesige Garten, wurde durch den Deichbau empfindlich gestört!

Text & Foto aus: 50 Jahre Ricklinger Deich 1954 - 2004
Deichgrafen-Collegium Ricklingen, 01. Februar 2004

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Aktualisiert: 28.01.2005