Das Jahrhunderthochwasser in Ricklingen

Was waren nun die Ursachen für diese Hochwasserkatastrophe?

Einer 14-tägigen Frostperiode in der 2. Januarhälfte 1946 folgte vom 4. bis 10. Februar eine Periode niedrigen Luftdruckes. Die Niederschläge waren sowohl während der ganzen Hochwasserperiode wie an den Katastrophentagen des 8. und 9. Februar ganz ungewöhnlich hoch. Im 1. Februardrittel erreichten die Niederschlagsmengen bis zu 1/6 der mittleren Jahresniederschlagsmenge. Die Niederschläge fielen fast durchweg als Regen. Infolge des gefrorenen Bodens und der Abholzungen im Harz durch die britische Besatzungsmacht kamen die gefallenen Regenmengen schnell zu Tal. Die vorgenannten Punkte sind als die wetterbedingten Ursachen der Hochwasserkatastrophe anzusehen. Besonders zu erwähnen sei noch, dass die Flüsse eisfrei waren, und dass somit noch nicht einmal alle denkbar ungünstigen Umstände vorlagen.

Die Bauverwaltung, Tiefbauamt, Wasser- und Brückenbau, hat sich in den Jahren danach mit der Planung von Hochwasserschutzmaßnahmen beschäftigt. Dabei ging es um den Umbau des städt. Wehres in Herrenhausen, den Bau einer Überlaufschwelle, Erweiterung der Ihme aber auch vordringlich um die Eindeichung von Ricklingen.

Der Stadtteil Ricklingen hatte bisher keinerlei Hochwasserschutz. Wie schwer die Einwohner des bedrohten Gebietes 1946 heimgesucht wurden, geht eindeutig aus dem bereits geschilderten Umfang der dortigen Überflutung hervor. Die Forderung zum Schutz von Leben, Gesundheit und Hab und Gut wurde dringend gestellt, da bereits im Jahre 1947 wiederum große Teile von Ricklingen unter Wasser gesetzt wurden. Gegen ein Hochwasser von dem Ausmaß von 1947 war Ricklingen von Süden her durch die natürliche Höhenlage des Zuges Landwehrschänke - Mühlenholzweg- Hahnensteg - Edelhof geschützt. Ungeschützt war dagegen die rund 1 kilometerlange Strecke Edelhof - Bahndamm. Diese Strecke musste in jedem Fall durch einen Deich geschlossen werden.

Der städtische Baurat Dr. Schwien schrieb am 13. September 1949, dass die Kosten für die Hochwasserschutzmaßnahmen insgesamt 14.450.000 Mark ( die Kosten für ein einziges Hochwasser machen daher 43 Prozent aus ) ausmachen, wobei für die Eindeichung Ricklingens 750.000 Mark veranschlagt wurden. Eine solche Durchführung wäre zu diesem Zeitpunkt weder technisch noch finanziell vertretbar. Es wurde ein Zeitstufenplan erstellt, der 1950 mit der Eindeichung Ricklingens beginnen sollte. Wie man den damaligen Presseberichten entnehmen kann, wurde aber erst 1952 effektiv mit dem Bau des Ricklinger Deiches begonnen.
Bis zur Fertigstellung 1954 mussten 70.000 Kubikmeter Boden aufgeschüttet werden. Die Beschaffung dieser Bodenmenge war nicht leicht. Sie wurde von verschiedenen Stellen regelrecht zusammengesucht.

Neben der Aufschüttung musste eine Durchfahrt durch den Deich geschaffen werden. Er entstand an der verlängerten Düsternstraße. Dort wurde der Deich unterbrochen, durch zwei starke Mauern geschützt und durch ein Stemmtor wieder verbunden. Dieses Tor wird nur bei Hochwassergefahr geschlossen, sonst gibt es die Durchfahrt frei. Das Tiefbauamt baute einen neuen Abflusskanal, der das Regenwasser auf zwei so genannte Polderflächen leitet. Dort kann es sich erst einmal stauen, ohne Schaden anzurichten. Anschließend wird es durch ein Pumpwerk über den Deich geleitet und kann dann abfließen.

Der Schachtmeister Gustav Baldruschat, der zwei Jahre lang die Aufschüttung des Deiches mit bindigem Boden geleitet hat, konnte der Presse im März 1954 mitteilen: "Der Deich ist dicht".

Das letzte Hochwasser am 4. Januar 2003 hat dem Deichgrafen-Collegium Ricklingen Anlass dazugegeben, die Frage zustellen, ob der Ricklinger Deich heute noch die nötige Dichtheit aufweist, um Ricklingen zu schützen. Wer selbst in Augenschein nehmen konnte, wie das Wasser rechts und links vom Deichtor (Stemmtor) durch den Deich sickerte wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass man hier dringend tätig werden muss.

Aus einem vom damaligen Regierungsdirektor Schreicher vom niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten herausgegebenen Bericht über "Das Februarhochwasser 1946 in Nordwestdeutschland" möchten wir abschließend folgendes zitieren:

"Es wäre verfehlt, die Hände in den Schoß zulegen in der trügerischen Hoffnung, dass so große Hochwasser doch nur noch zu den Seltenheiten gehören."

Aus: Fidele Dörp, 23. Dezember 2003
Text: Erich-Peter Potthoff

Weiter: Zeitzeugen erinnern sich

Aktualisiert: 11.01.2005